Bericht zur mündlichen Stellungnahme zu den
Gesetzesentwürfen der Fraktionen CDU/ BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und der SPD des Hessischen Landtags
für ein Mobilfunk-Beschleunigungsgesetz
Am 15. März 2023 waren drei hessische Bürgerinitiativen zu Anhörung im Hessischen Landtag geladen. Anlass war eine geplante Novelle der Hessischen Bauordnung (HBO) zur Beschleunigung des Mobilfunkausbaus. Geladen waren auch Vertreter der Industrie, die allesamt die Erleichterung für das Aufstellen von Sendeanalgen bedenkenlos und fleißig begrüßten.
Darin soll beschlossen werden:
- den bisherigen Mindestabstand von 20 m der Sendeanlagen von Landstraßen aufzuheben.
- den Abstand von Sendeanlagen zu Grundstücksgrenzen zu verringern auf 3 m, bzw. zu Wohnanlagen auf 0,4 der Masthöhe.
- Die Aufstellung von temporären Anlagen während Stadtortsuchen soll erleichtert werden.
Bereits durch eine Novelle der HBO vom 06. Juni 2020 war die genehmigungsfreie Aufstellung von Sendeanlagen wesentlich erleichtert worden.
Die geplante Novelle geht davon aus, dass Mobilfunkempfang zur Daseinsvorsorge gehört und betrachtet das Thema nur aus diesem Blickwinkel. Dass Gesundheit von Mensch und Natur ebenfalls zur Daseinsvorsorge gehört, spielte keine Rolle. Dass der Lebensraum und die Lebensqualität von Elektrohypersensiblen durch die Funkverdichtung immer weiter eingeschränkt wird, hatte in der ersten Lesung am 25.01.2023 niemand berücksichtigt. Laut Gesetzesvorlagen habe diese Novelle keinen Einfluss auf Minderheiten – die Minderheit der EHS-Betroffenen wurde einfach ausgeblendet. Darauf haben wir in unseren Stellungnahmen eindrücklich aufmerksam gemacht.
Einzig ein Diplom Biophysiker und wir drei Bürgerinitiativen schlugen sehr kritische Töne an. Die Redezeit pro Peron war auf fünf Minuten begrenzt.
- Der Biophysiker ging sehr weit in seiner Kritik. Er beschrieb die frühen Erkenntnisse zur Schädlichkeit der Mobilfunkstrahlung anhand der Experimente des amerikanischen Militärs seit den 60er Jahren.
Interessant auch seine Hinweise Aussagen zum sog. Flynn-Effekt. Flynn (1987) zeigte anhand von Testergebnissen aus 14 Industrienationen, dass die Zunahmen der IQ-Werte zwischen 5 und 25 Punkten pro Generation betrugen. Doch seit Mitte der neunziger Jahre war dieser Effekt plötzlich verschwunden. - Michaele von der BI „Frei von 5G im Taunus“ sprach über die Missachtung von aktueller Wissenschaft und Technikfolgenausschüssen, sowie von der Unwissenschaftlichkeit der Grenzwerte. Biologische Zellschäden seien nachgewiesen und das thermische Dogma sei widerlegt. Doch die Gesetzesnovelle beruhe immer noch auf diesem Dogma. Seit 2020 haben sich die wissenschaftlichen Risiko-Hinweise so verdichtet, dass eine Erleichterung des Mobilfunkausbaus ohne Berücksichtigung des Schutzes der Bevölkerung nicht mehr rechtens sein kann.
- Eindrucksvoll und authentisch demonstrierte Anke Vetter als EHS-Betroffene von der BI Darmstadt, wie ihr Leben durch Mikrowellenstrahlung eingeschränkt wird. Sie könne nicht mehr ins Kino oder ins Theater gehen, weil alle dort ihre Handy´s angeschaltet haben und überdies WLAN fast in allen öffentlichen Räumen installiert ist. Auch Bahnfahrten seien deshalb für Sie nicht möglich. Sie sagte, dass die hier diskutierten Ausbauerleichterungen massive Auswirkungen haben könnten, wenn auch noch das letzte Funkloch geschlossen wird und der Strahlungspegel überall weiter steigt.
- Jörn Gutbier, der für die BI Frankfurt sprach, konzentrierte sich auf den Werdegang der kommunalen Entrechtung in Sachen Mitsprache beim Mobilfunkausbau durch die gezielten Veränderungen des Baurechts seit dem Jahr 2000. Und, dass es bis 2012 dauerte, bis kleine Kommunen in Deutschland sich diese Mitsprache erst wieder höchstrichterlich erstreitenmussten. Er erläuterte warum diese Beschlussvorlagen erneut den Weg ebnen werden, kommunale Mitsprache zu beschränken und den Betreibern frei Bahn für den weiteren Wildwuchs geben wird. Hier wiederholt sich gerade Geschichte. Wenn die Abgeordneten wirklich das Ziel hätten Mobilfunk für den Bürger zu verbessern, bräuchte es in erster Linie eine Neuaufstellung der Mobilfunkpolitik, die Immissionsschutz und Versorgung unter einen Hut bringt. Dass das sofort ginge, wurde erläutert an dem Konzept „Ein Netz für Alle“, „Trennen der Innen- und Außenversorgung“ bei der Netzplanung und „neue Technologien“ wie die Kommunikation über Infrarot anstelle der Mikrowelle, die für die Innenanwendung vor der Markreife steht. Bei einem Netz für Alle könnte wahrscheinlich 50% der Mobilfunkinfrastruktur abgeschaltet werden und alle hätten über Nacht ein besseres Netz, weil dort, wo der eine Betreiber sein Funkloch oder eine schlechte Abdeckung hat, lieferte der nächste Betreiber bereits heute seine Dienste.
Auf der Besuchertribüne saßen einige Vertreterinnen der BI´s in Darmstadt und Wiesbaden, die uns durch Ihre Anwesenheit unterstützten. Sie klatschten uns Beifall, obwohl dies in Parlamenten nicht gestattet ist. Wurden dann auch darauf hingewiesen – aber es tat trotzdem gut in dieser Runde von einer Mehrheit von Mobilfunkausbau-Befürwortern.
Wenn man die jüngsten Ergebnisse der Technikfolgenausschüsse (STOA; EWSA; TA Bundestag), Metastudien (Berenis) und Wissenschaftler-Appelle (Nordischer Appell, ICEBE-EMF) berücksichtigt, brauchen wir kein Mobilfunk-Beschleunigungsgesetz, sondern eher ein Mobilfunk-Entschleunigungsgesetz. Es ist Zeit für eine verantwortungsvolle Funkwende in Hessen.
Hier ein Auszug aus einer unserer mündlichen Stellungnahmen:
- Seit 25 Jahren nun folgt die Öffentlichkeit und die Politik den unwissenschaftlichen Behauptungen und Verharmlosungen des privaten, industrienahen Vereins ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) und des BfS über die gesundheitlichen Auswirkungen von Funktechnik.
- Die Grenzwertempfehlungen der ICNIRP und das Dogma, dass es nur thermische Wirkungen und keine Schadwirkungen unterhalb unserer Grenzwerte gäbe, basieren ursprünglich auf einem Verhaltens-Experiment mit sage und schreibe 5 Affen und 8 Ratten in den 90er Jahren. Sie wurden 60 Minuten lang der Mobilfunkstrahlung ausgesetzt. Dass dies keiner seriösen Wissenschaft standhält, ist Ihnen sicher allen klar. Schon im Jahr 2000 wurde die Unwissenschaftlichkeit der ICNIRP-Empfehlungen von dem Umweltwissenschaftler Neil Cherry nach-gewiesen. Trotzdem beruhen unsere heutigen Grenzwerte noch immer darauf.
- Seit 25 Jahren wird uns das thermische Dogma mantraartig verkündet. Weltweite Studienergebnisse über biologische Zellschäden werden dafür systematisch ausgeblendet. Das thermische Dogma wird als Alibi benutzt, um ungeachtet der Gesundheit der Bevölkerung, unserer Kinder und der Umwelt die Funkbelastung nahezu rücksichtslos auszubauen.
- Seit 25 Jahren haben wir extrem hohe Grenzwerte, die nur auf dem thermischen Dogma beruhen. Wir haben keine Grenzwerte, die vor biologischen Zellschäden und zum Beispiel Fruchtbarkeitsschäden schützen.
- Seit 25 Jahren werden Menschen mit Elektrohypersensibilität aus der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben immer weiter ausgegrenzt.
Ein einziger Abgeordneter stellte uns eine Frage und gab uns damit die Gelegenheit, weitere Punkte anzusprechen. So konnten wir klar sagen, dass 5G in der Fläche unnötig ist und nur für spezielle Anwendungen in lokalen Netzen Sinn macht. Unverständlicher Weise gehen die meisten Parteien und der Ausschuss davon aus, dass der Ausbau von 5G auch in ländlichen Räumen so wichtig sei. Was das mit Daseinsvorsorge zu tun hat, erschließt sich nicht.
M.K.
Anhänge
Die Gesetzesentwürfe und alle schriftlichen Stellungnahmen vor der mündlichen Anhörung
Von den Plenarsitzungen zum Mobilfunkausbaubeschleunigungsgesetz am 25.01.2023 gibt es ein zweiteiliges Video.