Wann ist schnell schnell genug?
Mit der Einführung immer schnellerer Mobilfunktechnologien ändert sich nicht nur die Geschwindigkeit, sondern...
Das Leben ist ziemlich schnell geworden, viele empfinden es heute als zunehmend stressiger denn früher. Eigentlich erstaunlich, weil uns Maschinen und Technik irrsinnig viel Arbeit abnehmen, inzwischen auch geistige. Folglich sollten wir immer mehr Freizeit und erholsamere Arbeit haben. Pustekuchen! Das liegt vermutlich daran, dass immer größere Berge an Informationen anfallen, die alle irgendwie bewältigt sein wollen. Und aus der Not retten soll uns ausgerechnet jene Technik, die uns jene Berge erst eingebrockt hat - sprich schnellere Datenverarbeitung, mehr Vernetzung, höhere Datenübertragungsraten, KI usw. Wir versuchen also, den Teufel also mit dem Beelzebub austreiben. Wann ist schnell eigentlich schnell genug?
5G, 6G etc. versprechen höhere Datenübertragungsraten. Das würde uns ermöglichen, in aller Ruhe 2 oder 3 Videos ruckelfrei(!) gleichzeitig anzuschauen, ggf. sogar mit doppelter Geschwindigkeit. Und wir müssen keine halbe Sekunde mehr an Lebenszeit verkleckern, bis eine Internetseite endlich lädt. Okay ... die Vorzüge für Privatnutzer sind eher überschaubar. Trotzdem lautet das medial verbreitete Mantra: ‘Schneller ist besser’.
Das stimmt so allgemein natürlich nicht. Die relevante Gleichung lautet: Mehr ist anders.
Für diese Erkenntnis (im Kern zumindest) hat der Komplexitätsforscher Philip Waren Anderson 1977 einen Nobelpreis erhalten. Zurecht, denn die Kurzformel bringt das Grundgesetz der gesamten Evolution auf den Punkt. Indem einfach nur mehr vom Gleichen zusammenkommt, entstehen - sprunghaft - neue Qualitäten. Viele Wassermoleküle ergeben Dampf, dann Nebel, Tropfen, Pfützen, Teiche, Seen, Meer. Und Meer ist natürlich anders… als z.B. Tropfen.
Auf Mobilfunk bezogen heißt dass, dass die neuen Generationen an Mobilfunktechnologie nicht nur harmlos alles bisschen schneller machen - ... es wird qualitativ anders.
Vielleicht lauern die größten Gefahren der schnelleren Vernetzungstechnologien gar nicht mal in den (wohl steigenden) gesundheitlichen Belastungen, sondern in jenen qualitativen Umbrüchen, die zwangläufig kommen werden und nicht vorhersagbar sind. Wenn Du Fantasie hast, schreibe uns doch, welchen qualitativen Umbruch Du Dir als den nächsten vorstellen kannst. Könnte spannend sein.
Denkbar ist, dass sich das Mehr an Datenströmen neben vielen gesellschaftlichen Veränderungen letztlich auch auf den Prozess unserer Menschwerdung auswirkt. Wenn alles sofort verfügbar ist, vielleicht verflachen dann seelische Reifungsprozesse und Sinnerfahrungen, oder es entsteht so etwas wie Bedeutungsschwund. Oder die Entwicklung verselbständigt sich und wir kommen mit unserer Gefühls-Bildung nicht mehr hinterher. Schon allein das ist Grund genug, die Einführung von 5G radikal zu verlangsamen, wenn nicht zu stoppen. Die Frage bleibt: Wann ist schnell schnell genug?
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